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Dass Krankheitserreger und Parasiten sich massiv auf alle Bereiche unseres Lebens auswirken können, erleben wir derzeit hautnah im Zuge einer globalen Pandemie. Doch nicht nur Menschen können unter Infektionen leiden – soziale Insekten, wie etwa Ameisen, sind unter Biologen dafür bekannt, dass auch ihre Kolonien einen idealen Lebensraum für vielfältige Lebewesen darstellen. Da Ameisen durch ihre Lebensweise in besonders regem Austausch mit ihrer Umwelt stehen und in großen Gruppen auftreten, beherbergen sie oft eine Vielzahl von Symbionten, Gästen und Parasiten. Manche dieser Parasiten infizieren Ameisen schon im Jugendstadium (als Larve oder Puppe) und greifen somit störend in die empfindlichen Entwicklungsprozesse der Tiere ein. Dies kann zur Folge haben, dass befallene Ameisen sich in ihrem Verhalten und Aussehen von gesunden Tieren unterscheiden – manchmal so sehr, dass sie selbst von Experten nicht mehr eindeutig zu erkennen sind.
In einem kürzlich in BMC EvoDevo erschienenen Review-Artikel hat die Forscherin Alice Laciny, PostDoc am Konrad Lorenz Institut Klosterneuburg, Arbeiten über all jene Parasiten zusammengefasst, die Einfluss auf Entwicklung und Körperbau ihrer Wirtstiere nehmen können. Den theoretischen Rahmen der Arbeit stellt dabei das „EcoEvoDevo“ Konzept dar – eine Sparte der evolutionären Entwicklungsbiologie, die besonderen Wert auf das Zusammenspiel zwischen Evolution, Entwicklung und Umwelteinflüssen legt. „Bisher wurden Ameisen und ihre Parasiten in diesem Kontext kaum untersucht. Das hat mich überrascht, denn man kann diese infizierten Exemplare quasi als natürliche Experimente betrachten: wenn man untersucht, in welche Abläufe der Parasit eingreift und welche Folgen das für das Individuum und die Art hat, kann man viel über die Entwicklung und Evolution dieser Organismen lernen“, erklärt die Autorin ihre Motivation hinter dem Artikel.
Eine besondere Herausforderung stellte die Literatursuche dar: Manche dieser Wirt-Parasiten-Beziehungen sind schon seit dem 18. Jahrhundert bekannt, daher lag ein Schwerpunkt der Arbeit darauf, möglichst diverse Quellen aus dieser langen Zeitspanne und in verschiedenen Sprachen mit einzubeziehen. „Es war faszinierend, welche komplexen Zusammenhänge von Parasiten, Entwicklung und Evolution bereits im frühen 20. Jahrhundert erkannt und beschrieben wurden. Leider waren diese Arbeiten einem internationalen Publikum bisher nicht zugänglich und sind daher weitgehend unbekannt.“, so die Autorin.
Bei der Zusammenfassung publizierter Artikel aus historischen und modernen Quellen wurde die Vielfalt dieser Parasiten deutlich: von mikroskopisch kleinen Einzellern bis hin zu Fadenwürmern so lang wie ein menschlicher Finger greifen Organismen aus vielen verschiedenen Gruppen und in allen Regionen der Erde in die Entwicklung von Ameisen ein. Die möglichen Veränderungen im Körperbau der Wirtstiere sind ebenso vielgestaltig: Während manche Parasiten nur geringfügige Abweichungen in Farbe oder Körpergröße hervorrufen, führen andere zur Entstehung unfruchtbarer, flügelloser Königinnen oder bringen sogar sogenannte „Interkasten“ hervor, die keiner gesunden Kaste eindeutig zuzuordnen sind. Dass gerade Ameisen solch drastische Veränderungen durchlaufen und überleben können, ist vermutlich ihrer besonderen Entwicklung zu verdanken: durch die Mechanismen der „phänotypischen Plastizität“ können sich aus einem einzigen genetischen Bauplan je nach Umwelteinflüssen ganz verschiedene Körperformen entwickeln. Bei gesunden Ameisen führt das zur Aufteilung in Arbeiterinnen, Soldatinnen und Königinnen, doch wenn sich Parasiten diese Formbarkeit zunutze machen, kann dies bizarre Konsequenzen haben. So führt etwa ein Befall des südamerikanische Fadenwurms Myrmeconema neotropicum dazu, dass der Hinterleib seiner Wirtsameise einer roten Beere ähnelt, die folglich von einem Vogel, dem Endwirt des Parasiten, gefressen wird.
Während die Wirt-Parasiten-Beziehungen einzelner Ameisenarten teilweise gut erforscht sind, gab es bisher keine zusammenfassende Publikation, die einen geordneten Überblick über all jene Parasiten geben konnte, die das Aussehen ihrer Wirtstiere verändern. Solch ein Übersichtsartikel ist laut Autorin Laciny besonders für zwei Gruppen innerhalb ihrer Leserschaft interessant: Einerseits für die Myrmekologie (Ameisenforschung), sowohl im Freiland als auch in Museumssammlungen, da hier das Wissen um mögliche Veränderungen durch Parasiten wichtig ist, um Falschbestimmungen zu vermeiden. Andererseits möchte sie besonders Forscher*innen der evolutionären Entwicklungsbiologie zur Arbeit mit Ameisen und Parasiten inspirieren: „Es gibt zahleiche Fallstudien über parasitenbedingte Veränderungen an Ameisen, doch in den wenigsten Fällen ist bekannt, welche Entwicklungsvorgänge an ihrer Entstehung beteiligt sind. Es gibt also noch viele offene Fragen, die es sowohl im Labor als auch im Freiland zu beantworten gilt. Aber eines ist sicher: Parasiten verdienen mehr Beachtung, denn sie haben viel mehr Einfluss auf Entwicklung und Evolution als wir glauben.“
Übersichtsgrafik verschiedener Faktoren, die zu parasitenbedingten Veränderungen bei Ameisen beitragen und dadurch Entwicklung und Evolution beeinflussen können. Fotos: S.P. Yanoviak, R. Pereira, A. Laciny
Publication
Laciny A., 2021: Among the shapeshifters: parasite-induced morphologies in ants (Hymenoptera, Formicidae) and their relevance within the EcoEvoDevo framework. BMC EvoDevo. https://doi.org/10.1186/s13227-021-00173-2